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H. Hammerschmidt-Hummel - Homepage
Aktualisiert: 01. Oktober 2007 / updated: 01 October 2007



d. Leserbriefe / Letters to the editor 

 

Uta Grossmann, “Dem Größten auf der Spur” (Frankfurter Rundschau, 14.08.03)

Erfreulicherweise hat Uta Grossmann (“Dem Größten auf der Spur”, Frankfurter Rundschau, 14.08.03) die wichtigsten methodischen und inhaltlichen Aspekte meiner Forschungen auf den Punkt gebracht: fächerübergreifendes Vorgehen, Zusammenarbeit mit Experten und “Belege in Hülle und Fülle, eingebettet in die historischen Zusammenhänge”. Sie weist auch auf kritische Stimmen hin. An einer gründlichen Überprüfung meiner Thesen ist mir außerordentlich gelegen. Dem Frankfurter Kollegen Lobsien aber, der meint, ich habe mich “methodisch wie inhaltlich” in “merkwürdige Sachverhalte verrannt”, muß ich ganz entschieden widersprechen. Richtig ist, daß es im Leben und Werk William Shakespeares auf Schritt und Tritt Merkwürdigkeiten - oder besser Ungereimtheiten - gibt, die sich bisher nicht erklären ließen. Sie ergeben Sinn, wenn man sie vor dem bewegten religionspolitischen Hintergrund der Shakespeare-Zeit sieht. Denn das, was auf den ersten Blick ungereimt scheint, entspricht in Wirklichkeit der Typik katholischer Lebensläufe unter Elisabeth I. und Jakob I. Dazu gehören u. a. die gefährliche heimliche Ausübung des alten Glaubens und das für Eltern wie Studierende risikoreiche Studium am katholischen englischen Kolleg in Douai bzw. Reims. Beide, Shakespeare und Marlowe, erwähnen diesen Studienort bzw. das Kolleg. Shakespeare kannte sogar die Nomenklatur seiner Klassen. Wenn der Kollege Lobsien die Zeit gefunden hätte, die Auswertung meiner neuen Text- und Bildquellen zu prüfen, wäre ihm nicht entgangen, daß drei seiner Frankfurter Kollegen entscheidend an der Lösung schwieriger Probleme mitgewirkt haben: ein Medizin-, ein Jura- und ein Theologieprofessor. Wenn er die Fachdiskussion im einzelnen verfolgt hätte, wüßte er, daß bisher zweimal, aber vergeblich, versucht wurde, Teilergebnisse meiner Forschungen in Frage zu stellen (vgl. Anglistik 2/2000, 1/2002 u. 2/2002).

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Wer die ersten Sätze von Burkhard Müllers enthusiastischer Rezension des erstmals 1997 erschienenen und nun in deutscher Übersetzung vorliegenden Buches Genannt: Shakespeare. Die Lösung des größten literarischen Rätsels von Joseph Sobran liest (Süddeutsche Zeitung - 3. Dezember 2002), muß auf den ersten Blick meinen, endlich sei klar gestellt, wer die wohl größten Werke der Weltliteratur verfaßt habe, Werke, die, von der akademischen Shakespeare-Forschung fälschlicherweise dem ungebildeten Provinzler namens Willam Shakespeare zugeschrieben, in Wirklichkeit von Edward de Vere, dem 17. Grafen von Oxford, stammten. Sobran beansprucht, die schon wiederholt ad absurdum geführte Oxford-Theorie ”um ihre Auswüchse bereinigt” und ”ein völlig neues Verständnis der Dramen und Gedichte” (S. 265) ermöglicht zu haben. Laut Müller leistet er ”großartige Überzeugungsarbeit”. Der Rezensent findet sichtlich Gefallen an den hübschen Details aus dem Leben des gräflichen Lebemanns und ”Dandys”, der in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts eine Provinz-Schauspieltruppe unterhielt, der löblich erwähnte, aber nicht überlieferte Komödien und mittelmäßige Gedichte schrieb, der in den 90er Jahren in Italien sein Vermögen durchbrachte, dann lahmte, kränkelte und verarmte und am Ende schließlich auf eine Pension der Königin angewiesen war. Dieser Adelige habe “Mr. Shakespeare”, eine “Landpomeranze” (Müller), als Strohmann benutzt, um seinen Namen nicht mit öffentlich gespielten Theaterstücken in Verbindung zu bringen. Den Leser wundert dies, hatte der Graf doch seine eigene Theatertruppe und sich als Komödienautor einen Namen gemacht, wie der Cambridge-Absolvent Francis Meres 1598 in seiner vergleichenden Studie über englische und antike Autoren bestätigt. Während sich Meres an die Titel der Oxford-Komödien nicht erinnert, nennt er alle Titel der bis 1598 entstanden Stücke des gefeierten Autors William Shakespeare. Im Unterschied zu dem erfolglosen Bühnenautor Oxford wurde Shakespeare mit seinen Dramen, die im Globe vor 2000-3000 Zuschauern gespielt wurden, vermögend. Sobrans Rezensent aber meint, es sei an der Zeit, “die klassische Forschung”, die an der Verfasserschaft Shakespeares (noch immer) nicht zweifele, “in ihrer blasierten Neugierlosigkeit zu beschämen”. Schon deshalb, so endet seine Besprechung, sei dem Autor unbedingt zu wünschen, daß er Recht habe. Sollte Müller etwa von der eingangs so gerühmten ”Überzeugungsarbeit” Sobrans am Ende selber nicht überzeugt sein? Gleichwohl macht schon der geschickt aufgemachte Umschlag mit Shakespeare, der geht, und Oxford, der kommt, neugierig, animiert zur Lektüre. Als kritischer Leser sucht man indessen vergeblich nach den versprochenen neuen und überzeugenden Argumenten für die ”Oxford-Theorie”. Kenner sehen sogleich, daß historische Quellen im Sinne der These des Autors ungenau und häufig sogar falsch wiedergegeben, geschichtliche Tatbestände, die Sobrans Theorie widerlegen, ausgespart und offene Widersprüche in der Beweisführung bestehen bleiben. Alles dies aufzulisten, würde den Rahmen eines Leserbriefs sprengen. Als schlagendes Argument gegen die Verfasserschaft des Grafen von Oxford galt bisher die Tatsache, daß dieser 1604 starb und rund 10 der Dramen Shakespeares erst nach 1604 entstanden. Unbeirrbare Anhänger der Oxford-These hat dies erstaunlicherweise noch nie gestört. Sobran aber, so Müller, habe ”glaublich” gemacht, daß alle Shakespeare-Stücke vor 1604 vollendet vorlagen und in den Dramen keine Referenzen aus späterer Zeit existierten. Experten aber wissen, daß es dazu eine Fülle von Gegenbeweisen gibt. In König Lear nimmt Shakespeare konkret auf eine kürzliche Sonnen- und Mondfinsternis Bezug. Diese auch damals sensationellen Naturphänomene ereigneten sich im September und Oktober des Jahres 1605. Das große Meisterwerk kann also nicht vor 1604 entstanden sein. Es wurde am 2. Weihnachtstag 1606 als neues Stück bei Hofe in Whitehall aufgeführt. In Macbeth finden sich nicht nur klare Hinweise auf die Pulververschwörung (1605) und auf den Hochverratsprozeß gegen den Jesuiten-Superior Henry Garnett (1606) sowie dessen Technik der ‘Equivokation’ (der sprachlichen Verschleierung von Aussagen, um das Ausforschen von Gedanken zu verhindern), sondern auch Anspielungen auf die verheerenden Konsequenzen der niedrigen Weizenpreise des Jahres 1606 für die kleinen Bauern. Die Anregung zum Sturm, Allerheiligen 1611 bei Hofe aufgeführt, erhielt Shakespeare von der großen Schiffskatastrophe bei den Bermudas (1609), die in einem in London kursierenden Brief William Stracheys vom 15. Juli 1610, aber auch in Sylvester Jourdains Discovery of the Bermudas und im offiziellen Report der Virginia Company (beide gedruckt 1610) ausführlich geschildert wurde. Sobran aber glaubt nachweisen zu können, diese die Gemüter der Untertanen Jakobs I. bewegende Katastrophe habe Shakespeare gar nicht kennen können, da Stracheys Brief erst 1625 gedruckt worden sei. Daß sich der Inhalt von Stracheys Brief in London wie ein Lauffeuer verbreitete und daß es zwei 1610 gedruckte Quellen zum Schiffsunglück von 1609 gab, ist Sobran entweder nicht bekannt oder er verschweigt sein Wissen. Das bisher ungelöste Problem, das Oxfords allzu frühes Ableben den Anhängern der Oxford-These bereitet, versucht Sobran zu relativieren, indem er behauptet, es gäbe Hinweise dafür, daß auch Shakespeare schon kurz nach 1604 gestorben sei (vgl. S. 173ff.). Damit will er die etablierte Shakespeare-Forschung bei der Datierung der späteren Werke gleichfalls in Schwierigkeiten bringen. Die Tatsache, daß Shakespeares Tod am 23. April 1616 bestens belegt ist, stört den Verfasser offensichtlich nicht – ebensowenig wie der Widerspruch, daß der von ihm bereits für tot gehaltene Shakespeare 1612 in London eine Zeugenaussage macht (vgl. S. 177). Im übrigen nimmt Sobran auch die Inschriften des Shakespeareschen Grabmonuments nicht ernst, die jedoch historische Quellen par excellence sind und Shakespeares herausragende Stellung als Autor für die Nachwelt dokumentieren. Ebenfalls leicht widerlegbar ist Sobrans Behauptung, zwischen 1604 und 1612 finde sich in London von Shakespeare ”keine Spur” (S. 175). Tatsache ist, daß sich am 9. August 1608 sieben Mitglieder der Shakespeareschen Theatertruppe, darunter der berühmte Bühnenautor selber, unter schwierigen Bedingungen zusammentaten und einen Pachtvertrag für das Blackfriars Theater schlossen (Laufzeit 21 Jahre). Hier wie im Globe feierten Shakespeares Schauspieler größte Triumphe. 1611 wurde in diesem neuen Theater Shakespeares Wintermärchen uraufgeführt. Schon diese wenigen sachlichen Einwände und Richtigstellungen dürften genügen, um zu zeigen, daß die von Sobran erneut ins Spiel gebrachte These, der 1604 gestorbene Graf von Oxford sei der wahre Verfasser von Shakespeares Dramen und habe bei seinem Ableben die großen Tragödien, Problemstücke und Romanzen sozusagen in der Schublade gehabt, nach wie vor unhaltbar ist. Dies gilt natürlich auch für die vielen anderen Verfassserschafts-Thesen, die offenbar der Neigung vieler Bewunderer der unvergleichlichen Werke entgegenkommen, die Existenz ihres Urhebers zu mystifizieren.