Vorbemerkung
“Die in der vorliegenden Studie im Rahmen eines übergreifenden
sozio-ökonomischen wie sozio-kulturellen Ansatzes unterbreiteten Überlegungen
hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung der neuen Importgüter und ihrer
Bezeichnungen in der englischen Literatur des späten 16. und frühen
17. Jahrhunderts finden - wie sich überraschenderweise herausstellte -
eine Entsprechung, ja Bestätigung in der bildenden Kunst jener Zeit, vorzugsweise
in der Stilleben-Malerei der Niederlande. Wenn im Unterschied zur britischen
Insel und ihrem Nachbarland Holland die Maler und Dichter Italiens so gut wie
gar nicht auf die nach der Entdeckung Amerikas und der Kap-Route nach Indien
in großer Zahl nach Europa einströmenden Güter der ‘neuen’
und der ‘alten’ Welt reagieren, so nicht nur deshalb, weil sich
mit der Auffindung und Erschließung des neuen Kontinents die handelspolitischen
Interessen bekanntlich schlagartig vom mediterranen auf den atlantischen Raum
verlagerten, sondern vornehmlich auch deshalb, weil in Italien jene Erlebnistiefe
fehlte, die die Begegnung mit dem Exotischen und Neuartigen zu vermitteln vermag.
Neu und fremd aber waren in Italien weder die Gewürze Indiens, die Perlen
und Edelsteine des Orients, noch die mannigfachen kostbaren Stoffe und Teppiche
Persiens. Seit dem Mittelalter fungierten die italienischen Hafen- und Handelsstädte
als Mittler für den Handelsverkehr mit orientalischen und fernöstlichen
Luxusartikeln, die - wie etwa Porzellan - zumeist Geschenkcharakter besaßen
und nur einem kleinen Potentatenkreis Nordeuropas vorbehalten waren. Anders
steht es freilich mit den neuen Seemächten Portugal und Spanien, denen
im Jahre 1493 kraft päpstlicher Autorität die neu entdeckten Regionen
der Welt zugesprochen worden waren und die ihre Ansprüche insbesondere
gegen die nachrückenden Seehandelsstaaten England und Holland verteidigten.
Zwar vermochte sich Portugal eine bis dahin ungeahnte Monopolstellung für
den Ostindienhandel zu sichern, zwar gelangte Spanien in den Besitz unermeßlicher
Reichtümer an Gold und Perlen aus Mittel- und Südamerika, aber die
Wirkung, die die neuen Genußmittel und Luxusgegenstände zu erzielen
vermochten, scheint die Grenzen des Faktischen und real Greifbaren nicht überschritten
zu haben, so daß mit Einschränkung behauptet werden darf, weder die
Literatur noch die Malerei der iberischen Halbinsel habe von den Reizeffekten
profitiert, die die exotischen Produkte andernorts gewinnbringend ausgelöst
haben. In England und mit leichter Zeitverschiebung auch in Holland aber bereichern
die durch den Aufschwung des Seehandels auf breiter Basis bereitgestellten Güter
das Sprach- und Bildmaterial der Dichter und Maler so sehr, daß sich mit
den neuen Ausdrucksmöglichkeiten zugleich auch neue und noch unverbrauchte
Wirkungen einstellen. Die wirtschaftlichen und religiösen Voraussetzungen
auf der britischen Insel und in den Niederlanden sind ähnlich gelagert:
Der religiösen Erneuerung folgte die innere Befriedung [...] und freilich
auch das Bewußtsein, aus eigener Kraft (ohne die Oberhoheit Roms) Geltung
erlangt zu haben. Auf diese Weise entstand ein Klima, in dem die mit den neuen
Gütern gewonnenen neuen Eindrücke den assoziierenden und synthetisierenden
Gestaltungswillen in der Dicht- und Bildkunst nachhaltig prägten. Aber
wir haben es trotz vergleichbarer Bedingungen mit ganz unterschiedlichen Reaktionen
zu tun. Die gleichen Konsum- und Genußmittel, Gebrauchsgegenstände
und Luxusartikel, die im Zuge des expansiven Überseehandels nach England
gelangen, erreichen auch Holland (wo sich im übrigen nur wenig später
als im Nachbarland jenseits des Kanals eine Ostindienkompanie etabliert), aber
jedes Land bemächtigt sich der neuen Räume und ihrer Produkte auf
die ihm gemäße Weise: die exotische Reizwirkung findet in England
ihren Niederschlag in der Literatur, vornehmlich im Drama, wie die vorliegende
Arbeit gezeigt hat; in den Niederlanden aber antwortet man auf die Reize der
neuen Einfuhrgüter, indem man sie in einer technisch vollendeten Ölbildkunst
zur Darstellung bringt. Die Importgüter der Neuzeit bilden hier die Grundlage
für das Entstehen eines neuen Genres, nämlich der zuvor erwähnten
Stilleben-Malerei, die in den Niederlanden erstmals in der jüngerer Geschichte
der europäischen Bildkunst ausgebildet und einer Blüte zugeführt
wird. Auf die Funktion und die Bedeutung der neuen Gegenstände und Genußmittel
in der Malerei kann an dieser Stelle allerdings nicht näher eingegangen
werden.
Abschließend soll am Beispiel einiger Stilleben aus dem frühen 17.
Jahrhundert dargetan werden, welche Möglichkeiten sich aus der spezifisch
wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise auch für die bildende
Kunst eröffnen.” (S. 322-323)
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