Hildegard Hammerschmidt-Hummel - Homepage
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Aktualisiert: 01. Oktober 2007 / updated: 01 October 2007

Die Importgüter der Handelsstadt London als Sprach- und Bildbereich des elisabethanischen Dramas

[The Import Commodities of the City of London and their Impact on the Life-Style, Language, and Dramatic Literature of Elizabethan England]

b. Appendix / Appendix

Vorbemerkung

“Die in der vorliegenden Studie im Rahmen eines übergreifenden sozio-ökonomischen wie sozio-kulturellen Ansatzes unterbreiteten Überlegungen hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung der neuen Importgüter und ihrer Bezeichnungen in der englischen Literatur des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts finden - wie sich überraschenderweise herausstellte - eine Entsprechung, ja Bestätigung in der bildenden Kunst jener Zeit, vorzugsweise in der Stilleben-Malerei der Niederlande. Wenn im Unterschied zur britischen Insel und ihrem Nachbarland Holland die Maler und Dichter Italiens so gut wie gar nicht auf die nach der Entdeckung Amerikas und der Kap-Route nach Indien in großer Zahl nach Europa einströmenden Güter der ‘neuen’ und der ‘alten’ Welt reagieren, so nicht nur deshalb, weil sich mit der Auffindung und Erschließung des neuen Kontinents die handelspolitischen Interessen bekanntlich schlagartig vom mediterranen auf den atlantischen Raum verlagerten, sondern vornehmlich auch deshalb, weil in Italien jene Erlebnistiefe fehlte, die die Begegnung mit dem Exotischen und Neuartigen zu vermitteln vermag. Neu und fremd aber waren in Italien weder die Gewürze Indiens, die Perlen und Edelsteine des Orients, noch die mannigfachen kostbaren Stoffe und Teppiche Persiens. Seit dem Mittelalter fungierten die italienischen Hafen- und Handelsstädte als Mittler für den Handelsverkehr mit orientalischen und fernöstlichen Luxusartikeln, die - wie etwa Porzellan - zumeist Geschenkcharakter besaßen und nur einem kleinen Potentatenkreis Nordeuropas vorbehalten waren. Anders steht es freilich mit den neuen Seemächten Portugal und Spanien, denen im Jahre 1493 kraft päpstlicher Autorität die neu entdeckten Regionen der Welt zugesprochen worden waren und die ihre Ansprüche insbesondere gegen die nachrückenden Seehandelsstaaten England und Holland verteidigten. Zwar vermochte sich Portugal eine bis dahin ungeahnte Monopolstellung für den Ostindienhandel zu sichern, zwar gelangte Spanien in den Besitz unermeßlicher Reichtümer an Gold und Perlen aus Mittel- und Südamerika, aber die Wirkung, die die neuen Genußmittel und Luxusgegenstände zu erzielen vermochten, scheint die Grenzen des Faktischen und real Greifbaren nicht überschritten zu haben, so daß mit Einschränkung behauptet werden darf, weder die Literatur noch die Malerei der iberischen Halbinsel habe von den Reizeffekten profitiert, die die exotischen Produkte andernorts gewinnbringend ausgelöst haben. In England und mit leichter Zeitverschiebung auch in Holland aber bereichern die durch den Aufschwung des Seehandels auf breiter Basis bereitgestellten Güter das Sprach- und Bildmaterial der Dichter und Maler so sehr, daß sich mit den neuen Ausdrucksmöglichkeiten zugleich auch neue und noch unverbrauchte Wirkungen einstellen. Die wirtschaftlichen und religiösen Voraussetzungen auf der britischen Insel und in den Niederlanden sind ähnlich gelagert: Der religiösen Erneuerung folgte die innere Befriedung [...] und freilich auch das Bewußtsein, aus eigener Kraft (ohne die Oberhoheit Roms) Geltung erlangt zu haben. Auf diese Weise entstand ein Klima, in dem die mit den neuen Gütern gewonnenen neuen Eindrücke den assoziierenden und synthetisierenden Gestaltungswillen in der Dicht- und Bildkunst nachhaltig prägten. Aber wir haben es trotz vergleichbarer Bedingungen mit ganz unterschiedlichen Reaktionen zu tun. Die gleichen Konsum- und Genußmittel, Gebrauchsgegenstände und Luxusartikel, die im Zuge des expansiven Überseehandels nach England gelangen, erreichen auch Holland (wo sich im übrigen nur wenig später als im Nachbarland jenseits des Kanals eine Ostindienkompanie etabliert), aber jedes Land bemächtigt sich der neuen Räume und ihrer Produkte auf die ihm gemäße Weise: die exotische Reizwirkung findet in England ihren Niederschlag in der Literatur, vornehmlich im Drama, wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat; in den Niederlanden aber antwortet man auf die Reize der neuen Einfuhrgüter, indem man sie in einer technisch vollendeten Ölbildkunst zur Darstellung bringt. Die Importgüter der Neuzeit bilden hier die Grundlage für das Entstehen eines neuen Genres, nämlich der zuvor erwähnten Stilleben-Malerei, die in den Niederlanden erstmals in der jüngerer Geschichte der europäischen Bildkunst ausgebildet und einer Blüte zugeführt wird. Auf die Funktion und die Bedeutung der neuen Gegenstände und Genußmittel in der Malerei kann an dieser Stelle allerdings nicht näher eingegangen werden.
Abschließend soll am Beispiel einiger Stilleben aus dem frühen 17. Jahrhundert dargetan werden, welche Möglichkeiten sich aus der spezifisch wirtschafts- und kulturgeschichtlichen Betrachtungsweise auch für die bildende Kunst eröffnen.” (S. 322-323)

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