Hildegard Hammerschmidt-Hummel - Homepage
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Aktualisiert: 01. Oktober 2007 / updated: 01 October 2007

 

Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’

[The secret around Shakespeare’s ‘Dark Lady’]

e. Repliken

Replik auf Wolfgang Riehles Artikel “Zur aktuellen Frage nach der Identität der ‘Persian Lady’”, Anglistik 13.1 (März 2002), S. 139-151, in: Anglistik 13.2 (September 2002), S. 227-230.

Der Grazer Anglist und Clemen-Schüler Wolfgang Riehle hat sich der Mühe unterzogen, die in meinem Buch Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’: Dokumentation einer Enthüllung (Darmstadt: WBG und Primus, 1999) vorgenommene Identifizierung der ‘Persian Lady’ auf dem gleichnamigem Bild des bedeutendsten elisabethanischen Porträtmalers der 90er Jahre - Marcus Gheeraerts d. J. - zu überprüfen. Ich habe seine Ausführungen, die ausgesprochen wissenswerte kulturgeschichtliche Details über Sir Henry Lee und seine Geliebte Anne Vavasour enthalten, mit großem Interessse gelesen. Riehle gelangt zu anderen Schlußfolgerungen als ich. Seine Hauptargumente möchte ich nun kritisch erörtern.
Der Rezensent beschäftigt sich zunächst mit dem neuen Sonett auf Gheeraerts Gemälde und äußert dezidiert: “Wegen seiner stilistischen Qualität kann dieses Gedicht jedoch u. E. kaum etwas mit Shakespeare zu tun haben” (S. 140). Zudem fehle ihm der Bezug auf “ein Du”. Die zahlreichen Possessivpronomina ‘my’, ‘her’ und ‘hes’ [‘his’] lassen sich nach meiner Meinung jedoch als Beleg dafür anführen, daß auch in dem neuen Sonett ein solches Gegenüber nicht fehlt. Für das Textverständnis erscheint es wichtig, daß sich im zweiten Quartett offenbar ein Wechsel der Perspektive vollzieht, so daß im Zentrum des Textes - ähnlich wie im Zentrum des Bildes - die Geliebte steht und zu Wort kommt. Wenn man sich an den genauen Wortlaut von Zeile eins hält - “The restles swallow fits my restles minde” -, scheint es sich nicht um eine Anspielung auf den überaus grausamen, mit Tod und Sterben assoziierten und daher hier eher kontraproduktiv wirkenden Philomele- bzw. Prokne-Mythos zu handeln, so wie er unter anderem bei Ovid überliefert ist, sondern wohl ausschließlich um einen jener Naturvergleiche, die Shakespeare auch andernorts verwendet, um innere Befindlichkeiten seiner Figuren, aber auch ihre Wunschvorstellungen zu externalisieren.
Riehles eigentliches Anliegen aber ist es, für Gheeraerts’ ‘Persian Lady’ den älteren Identifizierungsvorschlag der Kostümkundlerin Janet Arnold aus dem Jahre 1977 wieder aufzugreifen und durch neue Argumente zu stützen. Diesem Vorschlag ist schon der englische Kunsthistoriker Sir Roy Strong mit großer Skepsis begegnet. Die ‘Persian Lady’ könne - so Riehle - die Hofdame Anne Vavasour darstellen, die langjährige Geliebte von Sir Henry Lee. Auch in ihrem Leben fände sich eine Dreiecksbeziehung (Anne, ihr Liebhaber Lee und ihr Ehemann). Mehr noch: Auch sie habe eine Affäre mit einem Grafen gehabt, die nicht folgenlos blieb. Auch sie habe den Zorn der Königin erregt.Vavasour wurde, so Riehle, vom Earl of Oxford verführt, der aber verschwand, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr. Die Monarchin ließ ihn aufspüren und für zwei Jahre ins Gefängnis werfen. Parallelitäten zu Vernon und Southampton sind zweifelsohne vorhanden. Die Geschichte klingt verlockend, hat aber ein paar Haken: Denn sie spielt bereits im Jahre 1580. Einige der sich daraus ergebenden Probleme spricht Riehle offen an und versucht, sie zu bewältigen. Da ist zunächst (1) das frühe Schwangerschaftsdatum 1580, (2) der erst in den 90er Jahren erfolgte Aufstieg des Marcus Gheeraerts zum wichtigsten englischen Porträtmaler und (3) die späte Entstehungszeit des Gemäldes. Wegen der auf dem Bild wiedergegebenen neuen Persienmode ist sie erst (mit einer Toleranz von wenigen Jahren) um 1600 anzusetzen. Es sei durchaus denkbar, so argumentiert Riehle, “daß das als ‘Persian Lady’ bekannte Porträt erst einige Zeit post factum entstand, als sich das Ansehen Gheeraerts voll etabliert hatte” (S. 146). Damit aber wären wir bereits weit in den 90er Jahren. Das Problem der Persienmode, die den Abstand zwischen dem Ereignis von 1580 und der Datierung der ‘Persian Lady’ (um 1600) noch größer werden läßt (ca. 20 Jahre), versucht Riehle auszuräumen, indem er kurzerhand, und zwar in einer Fußnote, erklärt, es dürfe “kein zu großes Gewicht auf die Anspielung auf Persien gelegt werden”. Und: “Strongs detaillierte Argumentation, mit der er einen Zusammenhang mit der um die Jahrhundertwende aktuellen Persienmode herzustellen sucht, vermag nicht eigentlich zu überzeugen, weil sie sich nicht besonders gut mit dem emblematisch-allegorischen Bildprogramm des Porträts vereinen läßt” (S. 148). In meinem ‘Dark Lady’-Buch habe ich dagegen die Übereinstimmungen herauszuarbeiten versucht.
Ein weiteres Problem schneidet Riehle nicht an: Würde Liebhaber Lee - bei aller Verliebtheit - seiner Geliebten wegen einer rund zwei Jahrzehnte zurückliegenden und eher schäbigen Affäre mit dem Earl of Oxford, die in eine Schwangerschaft einmündete, ein so aufwendiges und kostspieliges bildkünstlerisches Denkmal setzen, wie es das emblematisch angelegte Gemälde von Marcus Gheeraerts d. J. mit seinen zahlreichen, vielschichtigen und bedeutungsträchtigen Bildsymbolen darstellt (vgl. Kap. “Das bildlich Dargestellte und seine Symbolik”, S. 38ff.)? Nach meiner Überzeugung ist die Bildsymbolik des Gheeraertsschen Gemäldes - bis auf die Perlen-Tränen-Metaphorik, die beim weinenden Hirsch begegnet - positiv besetzt und kündet von Glück, Fruchtbarkeit und freudiger Erwartung, wie insbesondere auch der goldene ‘Wasserstrahl’ offenbart, der - die Geburt antizipierend und mythisch überhöhend - aus dem Kopf der Schwangeren austritt und dabei an die Geburt der Athene aus dem Haupt des Zeus erinnert. In das wertvolle Gewand der ‘Persian Lady’ sind farbenfrohe “Blätter, Blüten, Früchte und Vögel” hineingewoben, die “ein Sinnbild lebenspendender Kraft” sind und sich “als symbolisch-allegorische Zeichen der Erneuerung” deuten lassen. Der Botaniker Ulrich Hecker glaubt, “Blüten des Granatapfelbaumes” erkennen zu können, die in der tradierten Symbolik für ‘Unsterblichkeit, ‘unvergängliche Fruchtbarkeit’ und ‘unerschöpfliche Fülle’ stehen. Der Gesichtsausdruck der Porträtierten zeugt nicht von Depression, sondern wirkt in der realistischen Darstellung, wie der Gynäkologe Peter Berle feststellte, lediglich “etwas gestreßt”.
Aus der präzisen und veristischen Wiedergabe der jungen Frau (‘Persian Lady’), die eine medizinische Begutachtung dieses Bildnisses überhaupt erst ermöglicht, dürfte sich für Riehle und seine These, daß hier “Anne Vavasours Schwangerschaftserlebnis von 1580 [...] in Form eines Porträts wieder vergegenwärtigt wurde” (S. 147), das vielleicht größte Problem ergeben. Denn Gheeraerts malte streng naturgetreu eine schwangere junge Frau, die 8 bis 12 Wochen vor der Niederkunft stand. Vavasour aber war, soweit bekannt, in dieser Zeit nicht schwanger. Sollte sie selber Modell gestanden haben, wovon Riehle ausgeht, hätte der Maler ihre Schwangerschaft und deren genaues Stadium exakt und veristisch konstruieren müssen, was gar nicht möglich gewesen wäre. Hätte eine andere - schwangere - junge Frau Modell gestanden, wäre der von Riehle vorgenommene Bildvergleich ohne Sinn. Vor diesem Hintergrund sind die Argumente, die für die Annahme sprechen, es könne sich um Anne Vavasour handeln, äußerst schwach.
Es bleibt die Überprüfung des Bildvergleichs, den Riehle zwischen der ‘Persian Lady’ und einem authentischen Porträt der Anne Vavasour vorgenommen hat. Während er zunächst “mangelnde Ähnlichkeit” feststellt, gelangt er später zu dem Schluß: “Sieht man genauer zu, dann zeigt sich, daß der Schein trügt, denn man findet durchaus überaschende Übereinstimmungen” (S. 146). Leider handelt es sich dabei um nicht sonderlich verläßliche Größen: Körpergröße, Augenfarbe, Haarfarbe und Kinn, wobei letzteres allerdings dem der ‘Persian Lady’ bei genauem Hinsehen nicht ähnelt. Vergleicht man auch die aussagefähigeren Körper- und Gesichtsmerkmale - wie beispielsweise Hals, Haaransatz, Nase und Nasenspitze sowie die Kinnspitzenpartie, so ergeben sich - wie schon im Falle des Kinns - deutliche Unterschiede, so daß die Personenidentität unwahrscheinlich ist und Riehles erster Eindruck wohl doch nicht getrogen hat.
Bildvergleiche zur Feststellung einer Personenidentität sind eine Aufgabe, die großes spezielles Fachwissen voraussetzt. Deswegen führe ich meine Bildvergleiche nur mit den Methoden und nach Möglichkeit mit Hilfe der zuständigen Spezialisten des Bundeskriminalamts durch, die ich auch im Zusammenhang mit der Identifizierung der ‘Persian Lady’ als Elizabeth Wriothesley, geb. Vernon, Gräfin von Southampton, konsultieren konnte.
Nach sorgfältiger Lektüre des facettenreichen Riehleschen Aufsatzes und nach gründlicher Prüfung seines Identifizierungsvorschlags muß ich dem Autor leider widersprechen. Nach Abwägung aller angeführten Argumente sprechen die Indizien und historischen Fakten gegen die These, Anne Vavasour sei identisch mit der ‘Persian Lady’.
Deswegen halte ich alle Thesen meines Buches Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’. Dokumentation einer Enthüllung aufrecht und sehe - ganz im Sinne Karl Poppers - weiteren kritischen Überprüfungen durch Fachkollegen mit Interesse entgegen.

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers der Anglistik: Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Ahrens, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Am Hubland, D-97074 Würzburg, Tel.: 0931-888-5408, Fax: 0931-888-5413, E-mail: ruediger.ahrens@mail.uni-wuerzburg.de]

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Replik auf Raimund Borgmeiers Besprechung (Anglistik 11.2 - September 2000 und Neue Zürcher Zeitung - 22. Januar 2000) in: Anglistik 11.2 (September 2000), S. 140-154.

"Der Film Shakespeare in Love hat es wieder allgemein in Erinnerung gebracht, dass auch bei dem großen britischen Dichter sehr konkrete Verbindungen zwischen Leben und Werk vorhanden sind." Bei diesem fulminanten Eröffnungszug des Rezensenten müßte sich der Leser eigentlich erstaunt die Augen reiben. Denn, wörtlich genommen, heißt dies, daß "sehr konkrete Verbindungen" zwischen der Biographie und dem Werk des Dichters bestehen und schon immer bekannt gewesen, aber lediglich in Vergessenheit geraten und schließlich erst durch den Film wieder in unser Bewußtsein gelangt seien. Das aber entspricht wohl so nicht ganz den Tatsachen. Daß es in Shakespeares Dichtungen - und vor allem in den Sonetten - "untrügliche Anzeichen" dafür gibt, "dass hier jemand schreibt, der menschliche Extremerfahrungen aus eigenem Erleben eingehend kennt" (Borgmeier), ist schon von den Vertretern der Romantik so gesehen worden. Die Verfasserin stellte daher ihrem Buch ein Zitat August Wilhelm Schlegels als Motto voran: "Es verrät einen außerordentlichen Mangel an kritischem Scharfsinn, daß unter den Auslegern Shakespeares, die wir kennen, noch keiner darauf gefallen ist, seine Sonette für seine Lebensbeschreibung zu benutzen. Sie schildern ganz augenscheinlich wirkliche Lagen und Stimmungen des Dichters." Die Shakespeare-Forschung des 20. Jahrhunderts hat sich mit dem biographischen Ansatz der Erschließung der Werke Shakespeares schwergetan. Es ist daher höchst erfreulich, wenn der Rezensent, ein Spezialist für die Sonette, auf die ins Auge springenden Bezüge zwischen der Vita des Dichters und seinem Werk nun besonders abhebt. Leider schränkt er dies später wieder ein, wenn er - Shakespeare einbeziehend - ausführt: "Elisabethanische Lyrik ist nicht so stark durch eine individuelle Handschrift bestimmt wie nachromantische Dichtung." An dieser Stelle schließt die entscheidende Behauptung Borgmeiers an, mit der er These eins der Verfasserin ("Der Verfasser des anonymen Sonetts, das als Subscriptio des Gemäldes 'The Persian Lady' fungiert ..., ist William Shakespeare") widerlegen zu können glaubt, für die er jedoch - so viel sei schon vorweggenommen - den Nachweis schuldig bleibt. "So lassen sich", so Borgmeier, "alle Merkmale, die angeblich auf Shakespeare als Dichter [des neuen Sonetts] deuten, auch in den Gedichten seiner Zeitgenossen finden." Hier ist einzuwenden, daß nicht pauschal alle Zeitgenossen Shakespeares, sondern nur diejenigen herangezogen werden dürfen, die nach 1590 (der unteren Marke der Entstehungszeit des Gemäldes 'The Persian Lady', auf dem sich das neue Sonett befindet) gelebt und sich nachweislich dichterisch betätigt haben.

Borgmeier geht davon aus, "das gesamte Argumentationsgebäude der Enthüllung" stehe auf dem Fundament des Sonetts, was sachlich unzutreffend ist. Denn spätere Thesen, insbesondere These fünf und These sechs, sind von These eins völlig unabhängig und werden durch unabhängiges Beweismaterial aus der Shakespearezeit belegt. Die Annahme des Rezensenten, mit der Widerlegung von These eins könne das gesamte Gebäude zum Einsturz gebracht werden, ist daher gleichfalls unzutreffend.

Leider übernimmt Borgmeier - kritiklos - Teile eines Zitats von Donald W. Foster ("Master W.H., R.I.P.", PMLA, 1987), das aus einer Aneinanderreihung wenig reflektierter, teilweise unrichtiger und in sich widersprüchlicher Behauptungen besteht. Laut Foster wissen wir über Shakespeares Sonette praktisch rein gar nichts: "We still have no plausible candidates for the role of the dark lady (or ladies), or of the rival poet (or poets), or of the speaker's young friend (or friends). We do not know whether all the sonnets are to be taken as spoken by a single speaker or whether the speaker in each poem is Shakespeare, a fictional lover, or a man. We do not know that the 'sugred Sonnets' mentioned by Francis Meres in 1598 are those published in the Quarto, whether they are all by Shakespeare, whether they are arranged as Shakespeare wished, or when any one of them was written. We do not even know that William Shakespeare wrote a single one of these poems, however likely that surmise may be. ... They [the sonnets] exist now as a symbolic structure in search of a thing signified." Daß der bedeutende englische Historiker A. L. Rowse, einer der besten Kenner des elisabethanischen Geschichte und Kultur, den Grafen von Southampton schon in den 60er Jahren überzeugend als den jungen adeligen 'Freund' identifizieren und einige konkrete historische Situationen und Ereignisse benennen konnte, auf die Shakespeares Sonette Bezug nehmen, wußte der Autor nicht oder ignorierte es. Borgmeier zitiert den ersten Satz Fosters und stellt fest, daß dieser "den gesicherten Wissensstand über die Sonette am Ende der 80er Jahre" beschreibe - und auch heute noch gelte. Dieses Credo stellt er seiner Rezension voran und scheint sich daher den neuen Argumenten der Verfasserin von vornherein zu verschließen. Wichtige Teile der Beweisführung werden bedauerlicherweise nur unvollständig oder gar nicht wiedergegeben.

Offensichtlich ist dem rein literaturwissenschaftlich orientierten Rezensenten nicht klar, daß es sich bei dem von der Verfasserin vorgelegten bildlichen Beweismaterial um authentische historische Quellen ersten Ranges handelt. Das Hauptzeugnis entstand zwischen 1590 und 1600, also in genau dem Jahrzehnt, in dem Shakespeares Sonette geschrieben wurden. Es handelt sich um das Gemälde 'The Persian Lady' von Marcus Gheeraerts dem Jüngeren, des bedeutendsten Porträtisten der späten Elisabethzeit. Dem Rezensenten scheint auch nicht bekannt zu sein, daß gerade Renaissance-Gemälde in der Medizin, speziell in der Dermatologie, schon rund vier Jahrzehnte lang als wertvolles Anschauungsmaterial zur Diagnostizierung von Krankheitssymptomen herangezogen wurden (vgl. dazu das Zwischenkapitel "Darstellungen pathologischer Symptome in der Porträtmalerei der Renaissance: Dermatologische Untersuchungen und Befunde" des Artikels der Verfasserin in Anglistik, Sept. 1996). Doch auch Historiker und Kulturwissenschaftler bedienen sich seit längerem dieser 'bildlichen Geschichtsquellen' mit großem Gewinn. Borgmeier aber spielt nicht nur die Bedeutung dieses Quellenmaterials herunter, sondern bezweifelt sogar, daß es methodisch legitim sei, "ein elisabethanisches Gemälde lebenswirklich ... zu behandeln, so dass Mediziner auf dieser Grundlage die genaue Schwangerschaftswoche bestimmen können". Zur sachlichen Richtigstellung sei gleich hinzugefügt, daß sich natürlich keiner der medizinischen Gutachter auf "die genaue Schwangerschaftswoche" festgelegt hat. Auf der Grundlage zahlreicher, klar erkennbarer äußerer Anzeichen urteilt der Gynäkologe, die schwangere 'Persian Lady' stehe rund 8 bis 12 Wochen vor der Geburt ihres Kindes. In seinem (nachfolgend abgedruckten) Interview vom 17. Oktober 1999 auf der Frankfurter Buchmesse konnte er anhand einer großformatigen Reproduktion des Gemäldes noch ein weiteres Merkmal anführen, das diesen Befund bestätigt. Im übrigen sollte die Frage, ob sich die im allgemeinen höchst veristisch gemalten Bildnisse des 16. Jahrhunderts für die Bestimmung von Krankheiten und/oder Schwangerschaften eignen, von den zuständigen Fachmedizinern und nicht von einem Literaturwissenschaftler beantwortet werden.

Die Thesen
Die Thesen der Verfasserin werden von Borgmeier auf den Seiten drei bis vier ungekürzt wiedergegeben. Über ihre wissenschaftliche Begründung, die im Buch Zug um Zug mit einer Vielzahl von stichhaltigen Beweismitteln und unter Heranziehung von Fachgutachten von Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen erfolgt und die seinen eigentlichen Gegenstand ausmacht, erfährt der Leser - die Verfasserschaftsthese ausgenommen - allerdings praktisch nichts. Der Satz "Das gedankliche Netz, das die Verfasserin bei ihrer Beweisführung im einzelnen knüpft, besticht durch seine feinen Maschen" ist nichtssagend. Ähnliches gilt auch für die Formulierungen: "Mediziner ... äußern sich zur Frage der Schwangerschaft der auf dem Bild dargestellten Dame" - "ein Botaniker klärt die besondere Spezies des gemalten Baumes und seiner Früchte ..." - "Kriminologen gutachten über Ähnlichkeitsmerkmale zwischen unterschiedlichen Porträtdarstellungen". Was mit Hilfe dieser Fachgutachten in dem Buch tatsächlich bewiesen wird und wie dies geschieht, bleibt in Borgmeiers Rezension im Dunkeln.

Borgmeier unterstellt der Verfasserin fälschlicherweise die Absicht, auf dem Weg der Erweiterung des Shakespeare-Kanons dezidiert zu versuchen, eine zentrale Lücke zwischen Leben und Werk zu schließen. Er verkennt, daß es zufällige Funde und Entdeckungen waren, die die Verfasserin unter Hinzuziehung von Fachwissenschaftern ausgewertet hat und daß sich alle Ergebnisse nach und nach - mosaikartig - zu einem in sich stimmigen Gesamtbild zusammenfügten.

Das neue Sonett auf dem Gemälde 'The Persian Lady' (Subscriptio)
Wie schon hervorgehoben, geht Borgmeier davon aus, "das gesamte Argumentationsgebäude der Enthüllung" stehe auf dem Fundament des Sonetts. Dabei verkennt er, daß das neue Sonett nur einer von mehreren möglichen Ansatzpunkten ist für die Präsentation der aus zahlreichen autonomen Gliedern zusammengefügten Indizien- und Beweiskette, die sich zudem wechselseitig bestätigen: Die verblüffende Ähnlichkeit Penelopes, der erstgeborenen Tochter der Gräfin von Southampton, mit Shakespeare - das Gesicht Shakespeares am Ärmel der Gräfin (das nun einmal für jenjenigen, der wirklich hinschaut, sicht- und identifizierbar vorhanden ist, vgl. dazu auch das bereits erwähnte Interview mit Prof. Berle am 17. Oktober 1999) - die Übereinstimmung der Gesichtszüge der unbekannten 'Persian Lady' mit denen der Gräfin von Southampton - und/oder die Übereinstimmung zwischen dem Emblem des Daumenrings der 'Persian Lady', den Emblemen auf den Porträts des Grafen von Southampton und dem Emblem am Dekolleté der Penelope - alle diese Befunde hätten ebensogut als Einstieg dienen können. Das gilt auch für die verblüffenden Übereinstimmungen der Ergebnisse der Bildanalyse mit den belegten historisch-biographischen Fakten des Jahres 1598, etwa der Tatsache, daß die Hofdame Elizabeth Vernon zum Zeitpunkt ihrer heimlichen Hochzeit mit dem Grafen von Southampton rund 10 Wochen und die vornehme, bisher namenlose 'Persian Lady' (in einem festlichen Wickelkleid aus weißer Seide mit Blumen, Blüten und Früchten) - gemäß gynäkologischem Gutachten - 8 bis 12 Wochen vor der Geburt ihres Kindes stand. Alles dies wären Optionen für den Einstieg in die Beweiskette gewesen. Hätte die Verfasserin eine der anderen möglichen Optionen gewählt und den linguistischen Vergleich ans Ende gestellt, hätte sich schon vor dem Sprachvergleich herauskristallisiert, daß in den 90er Jahren als Autor von Sonett und Inschrift des Gemäldes praktisch nur Shakespeare in Frage kommen konnte.

Natürlich ist es "für den zu führenden Verfasserschaftsnachweis von besonderer Signifikanz" (S. 10 des Buches), daß die Form des neuen Sonetts dem sogenannten 'Shakespeare-Sonett' entspricht und nicht dem von diesem abweichenden 'Petrarka-Vorbild'. Die Tatsache, daß der "Sonett-Pionier Surrey" - wie Borgmeier geltend macht - sie "fast ein halbes Jahrhundert früher" entwickelt hat, ist in diesem Zusammenhang belanglos. Nicht die Verfasserin verschweigt etwas, sondern Borgmeier, und zwar das Zwischenresümee am Ende des Absatzes: "Das auf dem Gheeraertsschen Gemälde wiedergegebene anonyme Sonett in englischer Sprache entspricht voll dieser für Shakespeare typischen Form. Dies ist die erste (grundlegende) Übereinstimmung zwischen dem neuen Sonett und den Sonetten Shakespeares und zugleich die Prämisse für alle nachfolgenden Schritte der Beweisführung" [in Teil II des Buches] (S. 10).

Der linguistische Vergleich
Daß Borgmeier seine Behauptung, daß sich "alle Merkmale, die angeblich auf Shakespeare als den Dichter deuten, auch in den Gedichten seiner Zeitgenossen finden" lassen, nicht belegen kann, wurde eingangs bereits erwähnt und wird nun aufgezeigt.

Der Rezensent listet auf, ob und wie häufig Wörter des neuen Sonetts auch von dem elisabethanischen Dichter Edmund Spenser verwendet werden. Er wird fündig und nennt (mit Häufigkeitsangaben) 'restless', 'wrongs', 'cruelty', 'music', 'thoughts', 'tears' 'melancholy' 'physick', 'harms' und 'redress'. Diese Wörter werden von der Verfasserin in Teil II, Kap. "4. Linguistischer Vergleich", Unterkapitel "Lexik", Rubrik "Allgemeiner Wortschatz" behandelt. Der dort geführte Nachweis, daß das "anonyme Sonett ... einen Wortschatz auf[weist], den auch Shakespeare benutzt hat", erscheint zwar simpel, ist jedoch notwendig, um zu zeigen, daß damit "aus linguistischer Sicht bereits eine wichtige Grundvoraussetzung erfüllt" ist (S. 11). Es ist jedoch keineswegs erstaunlich, daß diese geläufigen Wörter auch von anderen Dichtern oft verwendet werden. Auffällig und zugleich signifikant ist indessen, daß eines der besonders wichtigen Wörter des neuen Sonetts, das dort sogar zweimal in unterschiedlicher Schreibung vorkommt, nämlich 'physicke' und 'physique', und zudem noch in Latein ('medicina') in der sentenzartigen Inschrift (Inscriptio) des Gemäldes, laut Borgmeier bei Spenser nur einmal begegnet ('physick'). Bei Shakespeare aber ist 'physic' insgesamt neununddreißigmal anzutreffen. Die Verfasserschaftsthese kann durch Borgmeiers Hinweis, daß die oben genannten und von Shakespeare häufig verwendeten Wörter des neuen Sonetts - bis auf 'physic' - auch bei Spencer zahlreich begegnen, nicht in Zweifel gezogen werden. Sie wird aber dadurch, daß das Wort 'physic' bei Shakespeare so häufig benutzt wird und bei Spencer dagegen nur einmal, zwangsläufig noch weiter untermauert.

Borgmeier fand des weiteren heraus, daß Spenser auch die Wendung 'goodly tree' benutzt, die im dritten Quartett des neuen Sonetts und bei Shakespeare vorkommt. In 3Henry VI konfrontiert King Henry unmittelbar vor seiner Ermordung Gloucester, den späteren Richard III, mit der verletzenden Wahrheit: "Thy mother felt more than a mother's pain, / And yet brought forth less than a mother's hope, / To wit, an indigest deformed lump, / Not like the fruit of such a goodly tree. (V,6,49-52)" (S. 42). Da sich beide Dichter, Shakespeare und Spenser, dieses Bildes bedienen, bleibt die Richtigkeit der Verfasserschaftsthese davon unberührt. Borgmeier übersieht aber, daß Spenser in den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts gar nicht in London, sondern seit Ende der 80er Jahre in Irland lebte, wo er sich als exponierter englischer Patriot den Haß der Bevölkerung zuzog. Während des irischen Aufstandes im Jahre 1598 zündete man ihm das Haus an, so daß er mit seiner Familie überstürzt nach England fliehen mußte. Er starb im Januar 1599 vor Gram über sein Schicksal. Angesichts dieser Lebensumstände in dem entscheidenden Jahr 1598 und angesichts der Tatsache, daß er - im Unterschied zu Shakespeare - 1594 die in seinen Sonetten besungene Geliebte heiraten konnte, muß Spenser als potentieller Urheber des neuen Sonetts ausscheiden.

Borgmeier macht ferner darauf aufmerksam, daß die Tränensymbolik in Sidneys Sonett 87 ganz ähnlich begegnet. Auch das hat als Einwand gegen die Verfasserschaft Shakespeares keinen Bestand. Denn Sir Philip Sidney, der wohl berühmteste Sonettdichter der Elisabethzeit, der 1586 starb und daher als Verfasser des neuen Sonetts gleichfalls nicht in Frage kommt, war bekanntlich das große Vorbild für die englischen sonneteers der 90er Jahre - insbesondere auch für Shakespeare.

Der berühmte Topos 'weinender Hirsch' ('weepinge Stagg') in Shakespeares Komödie As You Like It, Gegenstand zahlreicher Artikel der Sekundärliteratur, kommt - und das ist in der Tat signifikant und zugleich bezeichnend - auch in dem neuen Sonett vor. Mehr noch: Der Maler Marcus Gheeraerts hat ihn adäquat verbildlicht. Borgmeier, der kein einziges Beispiel der literarischen Verwendung dieses Gemeinplatzes bei anderen elisabethanischen Dichtern anführen kann, will diesen Hinweis auf die Verfasserschaft Shakespeares deshalb nicht anerkennen, weil der 'weinende Hirsch' des Sonetts - wie die Verfasserin ausführte - Liebesschmerz meint und der 'weinende Hirsch' in As You Like It in der neueren Forschung als 'Jagdkritik' gedeutet und von der Verfasserin so akzeptiert wurde. Daß beidemale ein und dasselbe Sinnbild eines - wie auch immer gearteten - Schmerzes gewählt wurde, läßt sich durch nichts hinwegdiskutieren, auch nicht dadurch, daß der Rezensent, die Verfasserin zitierend, darauf verweist, daß der Topos als solcher "in der Emblematik der Renaissance sehr geläufig war" (S. 20). Shakespeare hat mit der Verwendung des Topos 'weinender Hirsch' nachweislich den notwendigen Schritt von der Emblematik zur dramatischen Literatur vollzogen - und offensichtlich auch zur Sonettkunst. Für keinen anderen englischen Dichter der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts konnte Borgmeier dies nachweisen. Die Schlußfolgerung der Verfasserin, im Gebrauch dieses Gemeinplatzes im neuen Sonett und in As You Like It "ein deutliches Zeichen dafür [zu sehen], daß beide Texte aus derselben Feder stammen" (S. 21), ist daher selbstverständlich korrekt.

Natürlich beweist die Tatsache, daß 'shales' und 'kernel(s)' von elisabethanischen Autoren selten verwendet werden, daß - wie die Verfasserin ausführt - "der Kreis derjenigen, die als Verfasser des anonymen Sonetts in Frage kommen, ausgesprochen klein sein muß" (S. 18). Entgegen seiner Behauptung, "alle Merkmale, die angeblich auf Shakespeare als den Dichter [des neuen Sonetts] deuten, auch in den Gedichten seiner Zeitgenossen" aufzeigen zu können, kann Borgmeier 'shales' und 'kernel(s)' bei anderen elisabethanischen Dichtern nicht nachweisen. Statt dessen führt er eine für 1584 belegte allgemeine Redewendung an ('a kearnell within the schale') und meint, diese könnte "prinzipiell von allen zeitgenössischen Autoren" verwendet worden sein. Shakespeare aber verwendet beide Substantiva, 'shales' einmal und 'kernel(s) sogar sechsmal. Wenn diese Schlüsselwörter der Hauptaussage des neuen Sonetts ausschließlich für Shakespeare und für keinen anderen elisabethanischen Dichter der letzten Dekade des 16. Jahrhunderts nachgewiesen werden können, ist dies in der Tat ein höchst signifikantes Indiz dafür, daß nur er der Verfasser des neuen Sonetts sein kann. Der Vollständigkeit halber seien hier - über die im Buch erbrachten Belege hinaus, die wegen ihrer großen Bedeutung noch einmal angeführt werden - auch die weiteren Belege für 'kernel(s)' in Shakespeares Dramen in ihrem Satz- und Sinnzusammenhang erwähnt. In Henry V, einer Historie, die offenbar 1599 entstand und damit sehr nahe an die nun ermittelte Entstehungszeit des Gemäldes (ab Ende August 1598) und des auf ihm befindlichen Sonetts heranreicht, feuert der französische Constable vor der Entscheidungsschlacht seine den Engländern zahlenmäßig überlegenen Truppen mit den Worten an: "To horse, you gallant Princes! straight to horse! / Do but behold yon poor and starved band, / And your fair show shall suck away their souls, / Leaving them but the shales and husks of men" (IV,2,15-18). In The Winter's Tale ist der rasend eifersüchtige König Leontes von dem Gedanken besessen, sein Jugendfreund könne der Vater des ungeborenen Kindes der Königin sein. Mißtrauisch beäugt er deshalb auch seinen kleinen Sohn Mamilius, muß jedoch feststellen, daß sich in den Gesichtszügen des Jungen tatsächlich sein eigenes Abbild abzeichnet: "Looking on the lines / Of my boyes face, me thoughts I did recoil / Twenty-three years; and saw myself unbreech'd, / In my green velvet coat; ... / How like, methought, I then was to this kernel, / This squash, this gentleman" (I,2,153ff.). In The Tempest heißt es: "And, sowing the kernels of it [the island] in the sea, bring forth more islands" (II,1,92); in The Taming of the Shrew: "As brown in hue / As hazel nuts and sweeter than the kernels" (II,1,257); in All's Well That Ends Well: "You were beaten in Italy for picking a kernel out of a pomegranate" (II,3,276) und "There can be no kernel in this light nut. The soul of this man is in his clothes" (II,5,47); in Troilus and Cressida: "Were as good crack a fusty nut with no kernel" (II,1,112).

Ergänzend sei auch auf den wichtigen, von Borgmeier nicht erwähnten Sachverhalt hingewiesen, daß auch 'Frucht' ('fruit') in Verbindung mit 'Liebe' ('love') - so wie es in der Schlußzeile des neuen Sonetts begegnet ('If this be all the fruite my love tree bears') - oder auch in Verbindung mit 'Lust' ('lust') bei Shakespeare belegt ist, wenn auch der Ausdruck 'Liebesbaum' ('love tree') nicht vorkommt. In 3Henry VI erscheint zweimal 'fruits of love': "Tis the fruits of love I mean" (III,2,58 und 59). In Titus Andronicus heißt es: "here's the base fruit of his burning lust" (V,1,43). Zu 'fruit(e)' in kausaler Verbindung mit 'love' und/oder 'lust' bei Spenser oder anderen Dichtern der Elizabethzeit äußert sich der Rezensent anscheinend deshalb nicht, weil er nicht fündig wurde. Wäre es nicht sportlich fair gewesen, dies auch schriftlich zu registrieren?

Auch die von der Verfasserin angeführten syntaktischen Übereinstimmungen des neuen Sonetts mit Beispielen aus Shakespeares Dramen (z.B. "The pain be mine", Sonett 38, und "The shales be mine", neues Sonett) werden von Borgmeier ignoriert. Statt dessen versucht er aufzuzeigen, daß die syntaktische Besonderheit des nicht betonten periphrastischen 'do' in der positiven Aussage, die noch heute in liturgischen Formeln erhalten ist ("till death do us part") und die nicht nur im neuen Sonett vorkommt ('this goodly tree / which I did plant in love'), sondern von Shakespeare in seinen Sonetten überaus häufig verwendet wird, gar keine Besonderheit des Dichters darstelle. Dieses syntaktische Kriterium, so Borgmeier, habe er in sechs aufeinander folgenden Sonetten Sidneys (Nr. 87-92) gefunden. Hier gilt das bereits Gesagte: Sidneys Sonette hatten für die englischen Sonettdichter der 90er Jahre Vorbildcharakter. Auch Shakespeare wurde bekanntlich von ihnen beeinflußt. Dort konnte er studieren, daß sich mittels der oben beschriebenen sprachlichen Besonderheit eine metrisch benötigte zusätzliche Silbe gewinnen ließ und das Reimen dadurch erleichtert wurde. Da Sidney selber als Autor ausscheidet (denn er war - wie erwähnt - zu Beginn des Entstehungszeitraums des Gemäldes ja schon vier Jahre tot), ist der Einwand des Rezensenten gegenstandslos.

Als vorläufiges Resultat ist festzuhalten, daß alle von Borgmeier vorgebrachten Einwände, die die Verfasserschaft Shakespeares an dem neuen Sonett in Frage stellen sollten, vollständig zurückgewiesen bzw. entkräftet werden konnten. Widerlegt werden konnte damit auch die Behauptung des Rezensenten, "alle Merkmale, die angeblich auf Shakespeare als Dichter [des neuen Sonetts] deuten, [lassen sich] auch in den Gedichten seiner Zeitgenossen finden". Wenn Borgmeier die von elisabethanischen Autoren selten verwendeten Wörter des neuen Sonetts, 'shales' und 'kernel(s), für keinen der anderen elisabethanischen Dichter des letzten Jahrzehnts nachweisen kann und diese Wörter in derselben und in ähnlicher Bedeutung ausschließlich bei Shakespeare begegnen, wird die These der Verfasserin, der Schöpfer des anspruchsvollen neuen Sonetts sei William Shakespeare, nicht etwa widerlegt, sondern - ganz im Gegenteil - weiter erhärtet und bestätigt.

Literaturwissenschaftlicher Vergleich
Der Rezensent bezweifelt, daß sich das neue Sonett, vor allem das dritte Quartett, das die Hauptaussage enthält, zusammen mit den Schlußversen, die das Resümee ziehen, als das Ende einer Dreiecksbeziehung deuten läßt. Dabei weist er mit keinem Wort auf den 13 Seiten langen "Literaturwissenschaftlichen Vergleich" der Verfasserin (S. 23-35) hin, in dem die realistisch, freizügig und schonungslos beschriebene, von heftigen Emotionen bewegte und für das dichterische Ich unglücklich verlaufene Dreierbeziehung in allen ihren Phasen (Entstehung, Entwicklung und drohendes Ende unter Ausgrenzung des Dichters) sorgfältig anhand zahlreicher Beispiele belegt wird. Da Borgmeier alles dies verschweigt, verschweigt er auch die Tatsache, daß Shakespeares 'Dark Lady'-Sequenz, da die beiden naiven Cupido-Sonette am Ende nicht von ihm stammen können, offen ist. Die Verfasserin führt dazu aus: "... die Sequenz [endet] mit Sonett 152, dessen Tonlage ungewöhnlich schroff und verletzend ist. Es kommt zu heftigen und beleidigenden Vorwürfen und Beschuldigungen, die in eine pauschale moralische Verurteilung der Geliebten einmünden und zeigen, daß die Beziehung am Ende ist und vermutlich abgebrochen wird. Sätze wie "And all my honest faith in thee is lost" und "For I have sworn thee fair - more perjur'd I, / To swear against the truth so foul a lie!" geben Anlaß zu der Annahme, daß sich die 'Dark Lady' eines schwerwiegenden Vergehens schuldig gemacht hat. Aber der Dichter läßt offen, worum es sich dabei handelt. - Was tatsächlich geschehen ist, erfahren wir in der Subscriptio der emblematischen Darstellung. Denn betrachtet man das anonyme Sonett im Licht dieser Geschehnisse und ihres ausgesprochen dramatischen Verlaufs, so stellt sich heraus, daß der Text der Subscriptio des Gemäldes 'The Persian Lady' unmittelbar an den sehr bewegten 'Handlungsablauf' der 'Dark Lady'-Sequenz anschließt" (S. 27). Weiter heißt es: "Das neue Sonett enthält somit, wenn auch kodiert, die Erklärung, die uns der Dichter am Ende der 'Dark Lady'-Sequenz vorenthalten hat: Dargestellt wird das (zuvor immer wieder befürchtete) Ende der Dreiecksbeziehung. Doch ist der Dichter nicht nur ausgegrenzt und isoliert, sondern er sieht sich am Ende auch um die Frucht seiner Liebe betrogen" (S. 28). Diese Aussage stützt sich auf das dritte Quartett des neuen Sonetts: "My onely hope was in this goodly tree, / which I did plant in love bringe vp in care; / but all in vaine, for now to[o] late I see / the shales be mine, the kernels others are." Sie stützt sich ferner auf die dem Text entsprechende bildliche Darstellung der hoch schwangeren 'Persian Lady'. Die (weit fortgeschrittene) Schwangerschaft ist ein zentrales Thema von Bild und Text. Ihre veristische Wiedergabe besetzt das Bildzentrum. Sie wird zum Gegenstand der Hauptaussage im dritten Quartett des neuen Sonetts und klingt auch in den Schlußversen noch einmal an. Das Thema Schwangerschaft wird in der Pictura in kunstvoll ausgeführten Fruchtbarkeitsmotiven (in Form von Wasser, Blumen, Blüten und Früchten) variiert. Wenn Borgmeier die von der Verfasserin minutiös und unter Mitwirkung von medizinischen und botanischen Fachwissenschaftlern dargelegten Zusammenhänge schlichtweg leugnet und statt dessen meint, "Zeile 12, 'the shales be mine, the kernels others are', hat einen viel allgemeineren Sinn", so stellt er den sehr konkreten (von ihm selber auf S. 3 bestätigten) engen und wechselseitigen Bezug zwischen Bild und Text wieder in Frage: den Bezug zwischen der schon weitgehend ausgereiften Frucht im Leib der Schwangeren (der von der Verfasserin konsultierte Gynäkologe, Prof. Dr. med. Peter Berle, schätzt den Stand der Schwangerschaft - wie erwähnt - auf 8 bis 12 Wochen vor der Geburt) sowie den reifen, an Oliven erinnernden Früchten, die vom Baum fallen, und den im neuen Sonett genannten 'Kernen' bzw. 'Früchten' ('kernels'), die 'anderen' ('others') zufallen werden, so daß dem dichterischen Ich nur die 'Schalen' ('shales') bleiben. In der Schlußzeile schließlich wird die enttäuschende Schlußfolgerung formuliert: 'My Musique may be plaintes, my physique teares / If this be all the fruite my love tree beares.'

Ein grundlegender Irrtum des Rezensenten besteht darin, daß er - wenngleich unausgesprochen - davon ausgeht, die 'Persian Lady' sei gar nicht schwanger. Da er sich nicht offen gegen das einhellige Urteil von vier Medizinern stellen möchte, beschreitet er einen Umweg, indem er, die medizinischen Expertengutachten ignorierend, die Realistik und Veristik elisabethanischer Porträts grundsätzlich in Frage stellt. Er fragt sich, wie Mediziner auf der Grundlage von Renaissance-Porträts ihre Diagnosen stellen können, anstatt dies - wie schon eingangs betont - den medizinischen Experten zu überlassen. Dem Rezensenten scheint entfallen zu sein, daß es medizinische (und kriminologische) Begutachtungen und Testverfahren waren, die bei den 1995 von der Verfasserin erbrachten Echtheitsnachweisen für Shakespeares Totenmaske und seine Porträts 'Chandos' und 'Flower' eine ganz entscheidende Rolle gespielt haben. Da er die Schwangerschaft der 'Persian Lady' (indirekt) bezweifelt (und damit die Diagnose des langjährigen Chefarztes der Frauenklinik und Hebammenschule am Klinikum der Landeshauptstadt Wiesbaden in Zweifel zieht), ist es ihm möglich zu argumentieren, es erscheine "naheliegend, die abgebildete Frau in der Sprecherrolle zu vermuten". Diese Annahme aber ist, wenn sie sich auf das gesamte Sonett bezieht, unhaltbar, wie noch gezeigt wird. Borgmeier begründet seine Vermutung mit dem Hinweis auf die erste Zeile des zweiten Quartetts: 'my weepinge Stagg I crown', die mit der bildlichen Darstellung korrespondiere. Auch die Verfasserin stellt nicht in Abrede, daß diese Zeile (wie offensichtlich auch die drei weiteren) tatsächlich von der 'Persian Lady' gesprochen werden. Sie ist im Unterschied zu Borgmeier jedoch der Überzeugung, daß hier lediglich ein (vorübergehender) Wechsel der Perspektive vorliegt, daß die im Zentrum der Pictura dargestellte Geliebte auch im Zentrum des Sonetts, d.h. im mittleren der drei Quartette, zu Wort kommt. Alle anderen Zeilen müssen, wenn die Hauptaussage und die Schlußfolgerung des neuen Sonetts Sinn ergeben soll, von einer männlichen Person (dem Dichter) gesprochen werden. Daß in dem neuen Sonett zwei Personen, und zwar unterschiedlichen Geschlechts, zu Wort kommen, zeigt sich beispielsweise an der Charakterisierung ihres unterschiedlichen Seelen- bzw. Gemütszustands: Die Person im ersten Quartett befindet sich in einem qualvollen Zustand permanenter innerer Rastlosigkeit, denn sie spricht von 'my restles minde'. Was dies in elisabethanischer Zeit und auch bei Shakespeare bedeutet, wird auf den Seiten 12, 19-20 und 28-29 des Buches ausführlich und mit Beispielen erläutert. Die Verfasserin verwies u.a. auf einen Brief, den die verzweifelte Gräfin von Southampton an Robert Cecil richtete, nachdem ihr Mann als engster Verbündeter des Grafen von Essex - wie dieser - nach dem Scheitern der Rebellion (1601) zum Tode verurteilt worden war: "Oh! let me, I beseech you, in this my great distress move you to have this compassion. ... I restlessly remain the most unhappy and miserable Elizabeth Southampton" (S. 12). Die Person im zweiten Quartett des neuen Sonetts aber spricht von ihren 'pensive thoughts, also von ihrem 'nachdenklichen Sinn', wie die Verfasserin überträgt, oder von ihren 'sinnenden Gedanken', wie Borgmeier übersetzt. Diese klare Schilderung zweier deutlich voneinander verschiedener Gemütszustände können sich somit nicht auf ein und dieselbe Person beziehen. Daß sowohl ein Mann als auch (vorübergehend im zweiten Quartett) eine Frau sprechen, ergibt sich ferner aus den deutlichen Differenzierungen 'my restles minde' und 'her Just complaintes' im ersten und 'hes [his] Teares' und 'my sighes' im zweiten Quartett. Die Person des ersten und dritten Quartetts sowie der beiden Schlußverse muß daher männlich sein. Sie ist identisch mit dem klagenden Dichter. Die Person des zweiten Quartetts (bildlich als 'Persian Lady' dargestellt) muß weiblich sein. Sie ist die Geliebte des Dichters. Dies wird im übrigen auch durch die bildliche Darstellung bestätigt. Denn links neben der Schwangeren im Bildzentrum sehen wir den weinenden Hirsch, der ganz offensichtlich eine Personifikation des (männlichen) Dichters darstellt und - wegen der schon mehrfach betonten Entsprechung von Bild und Text - notwendigerweise auch im neuen Sonett, der Subscriptio des Gemäldes, vorkommen muß. Plazierung und Inhalt der dreiteiligen lateinischen Inschrift (Inscriptio) des Gemäldes - "Iniusti Iusta querela / Mea sic mihi / Dolor est medicina et lori" ("Wie des Ungerechten gerechte Klage / so ist mir sogar der Schmerz der Rute Medizin") offenbaren gleichfalls, daß aus der Perspektive des weinenden Hirschen (bzw. des klagenden Dichters) berichtet wird. Die dritte und letzte Zeile mit den Schlüsselwörtern 'Dolor', 'medicina' und 'lori' endet bezeichnenderweise auf der Höhe seines gesenkten Kopfes, genau dort, wo sich die Perlen der Geliebten wie Tränen über ihn ergießen. Diese unmißverständlichen Aussagen von Bild und Text zeigen, daß Borgmeiers Annahme, das gesamte Sonett sei aus der Perspektive einer Frau geschrieben, nicht stimmen kann. Sie kann darüber hinaus auch deshalb nicht stimmen, weil es überhaupt keinen Sinn machte, einer hoch schwangeren, kostbar gekleideten und festlich geschmückten Dame aus höchsten Gesellschaftskreisen, die der nahenden Geburt ihres Kindes ganz offensichtlich mit Freude entgegensieht, die Zeilen des dritten Quartetts in den Mund zu legen und sie klagen zu lassen, daß die Frucht ihrer Liebe anderen gehört.

Abschließend sollte nicht unerwähnt bleiben, daß das neue Sonett von hoher literarischer Qualität ist und somit von einem hochrangigen elisabethanischen Sonettdichter stammen muß. In der Forschung ist man sich einig, daß es unter Elisabeth I. letztlich nur drei wirklich herausragende Sonettdichter gegeben hat: Sir Philip Sidney, Edmund Spenser und William Shakespeare. Sie alle haben in ihren Sonettzyklen Autobiographisches verarbeitet. Nur sie dürften als Autoren dieses anspruchsvollen sprachlichen Kunstwerks in Frage kommen. Nur mit einem von ihnen dürfte Marcus Gheeraerts d. J., der bedeutendste Porträtmaler in den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts, zusammengearbeitet haben. Sidney scheidet - wie schon erwähnt - definitiv aus. Denn er starb 1586, rund sieben Jahre vor der der unteren Grenze der Entstehungszeit der Shakespeareschen Sonette (ca. 1593-99) und rund vier Jahre vor Beginn der Dekade, aus der das Gemälde 'The Persian Lady' (1590-1600) stammt. Aber auch Spenser scheidet aus den bereits dargelegten Gründen aus. Somit bleibt nur Shakespeare, der in seinen 'Dark Lady'-Sonetten die Tragödie seiner unglücklichen Liebe und die quälende Dreiecksbeziehung realistisch beschreibt, in die er eingebunden war.

Die historisch-biographischen Bezüge
Borgmeiers Warnung, "wie vorsichtig man bei einer realbiographischen Auslegung elisabethanischer Lyrik sein sollte", kann die Verfasserin zwar grundsätzlich unterstreichen, sie aber angesichts der von ihr äußerst sorgfältig geprüften - und für stimmig befundenen - historisch-biographischen Details nicht auf sich beziehen. Davon dürfte schon ein Blick auf die chronologisch dargestellten Ereignisse des Jahres 1598 (S. 62-63), auf die der Rezensent die Leser im übrigen nicht hinweist, überzeugen. Sie ruft aber auch das Eröffnungsstatement des Rezensenten in Erinnerung, in dem von den vorhandenen "sehr konkrete[n] Verbindungen zwischen Leben und Werk" William Shakespeares die Rede ist.

Der Rezensent sieht einen gewissen Widerspruch darin, daß "es [das neue Sonett] zugleich ein emblematisches Gedicht und das Schlussgedicht der 'Dark Lady'-Sequenz sein soll". Dieser Widerspruch existiert nicht. Es handelt sich nicht um ein "emblematisches Gedicht", sondern um ein Sonett, das als Subscriptio in ein emblematisch konzipiertes Gemälde einbezogen ist, das des weiteren eine Inscriptio und eine Pictura besitzt. Die Tatsache, daß für die Subscriptio ein Sonett und nicht - wie in der Emblematik im allgemeinen bevorzugt - ein Epigramm gewählt wurde, ist ungewöhnlich, zeigt aber, daß der anonyme Dichter der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts nicht - wie beispielsweise Ben Jonson - auf dem Gebiet des Epigramms zuhause war, sondern auf dem des Sonetts.

Die Verfasserin behauptet an keiner Stelle, wie Borgmeier unterstellt, "dass es [das neue Sonett] zugleich als ein verloren gegangenes Schluss-Sonett in Shakespeares Sammlung intendiert war". Sie behauptet und begründet, daß der Text der Subscriptio - wegen seiner zahlreichen linguistischen und gerade auch verblüffenden thematischen Übereinstimmungen mit den Sonetten (und Dramen) Shakespeares und vor allem deswegen, weil er eine äußerst plausible Erklärung dafür bietet, warum der Dichter am Ende der 'Dark Lady'-Sequenz in der letzten, tatsächlich von ihm stammenden Zeile von 'so foul a lie' spricht und moralisch entrüstet ist. Wenn er in dem neuen Sonett klagt, 'the shales are mine, the kernels others are' und 'My Musique may be plaintes, my physique teares / If this be all the fruite my love tree beares', kann dies nur auf eine Dreierbeziehung gemünzt sein, bei der der Dichter des neuen Sonetts - so wie das dichterische Ich in Shakespeares 'Dark Lady'-Sonetten - ausgegrenzt wurde. Der Autor des neuen Sonetts wurde darüber hinaus auch um die Frucht seiner Liebe betrogen. Alles spricht dafür, daß Shakespeare mit der Formulierung 'so foul a lie' auf eben diesen Betrug abhebt. Angesichts der verblüffenden Übereinstimmung der Thematik des neuen Sonetts mit der der Shakespeareschen 'Dark Lady'-Sonette und angesichts der Plausibilität, die die Aussage 'so foul a lie' in diesem Kontext hat, ist es schlüssig und legitim zu folgern, "daß das neue Sonett in die Reihe der 'Dark Lady'-Sonette gehört, daß die in ihm beschriebene Geliebte mit der 'Dark Lady' identisch ist und daß das neue Sonett das eigentliche Abschluß-Sonett dieser Sequenz darstellt" (S. 35). Mit seinem unspezifischen Hinweis, "Zeile 12, 'the shales be mine, the kernels others are', hat einen viel allgemeineren Sinn", kann der Rezensent die These der Verfasserin nicht widerlegen.

Da sich - wie gezeigt werden konnte - die von Borgmeier gegen These zwei der Verfasserin vorgebrachten Argumente als nicht stichhaltig erwiesen haben, bleibt auch diese These unangefochten. Es gilt: "Das [neue] Sonett gehört in die Reihe der 'Dark Lady'-Sonette; die in ihm beschriebene Geliebte ist identisch mit der 'Dark Lady'; es stellt das eigentliche Abschluß-Sonett dieser Sequenz dar" (S. 5 des Buches).

An dieser Stelle sei ferner darauf hingewiesen, daß natürlich auch alle weiteren Indizien und Belege (Identifizierung der 'Persian Lady' als Elizabeth Vernon, das Gesicht Shakespeares am Ärmel der Gräfin von Southampton und die Übereinstimmung der Züge ihrer 1598 geborenen Tochter Penelope mit denen William Shakespeares und vor allem auch alle bekannten Ereignisse und Fakten des historisch-biographischen Hintergrunds des Jahres 1598) diese These zusätzlich bestätigen.

Die Pictura
Der Rezensent macht es sich sehr einfach, wenn er auf die entscheidenden Bestandstücke der Beweisführung nicht oder nur sehr flüchtig eingeht. So verschweigt er mit Bezug auf den kriminaltechnischen Bildvergleich zwischen der 'Persian Lady' und der Gräfin von Southampton die vielen übereinstimmenden Gesichtsmerkmale und verweist lediglich auf zwei von dem BKA-Experten festgestellte Abweichungen, wobei er erneut verschweigt, daß diese nicht nur schlüssig und plausibel erklärt werden konnten, sondern auch von dem BKA-Experten geprüft und für richtig befunden wurden. Da die Abweichung im Augenbereich schwangerschaftsbedingt ist - wie ein detailliertes medizinisches Fachgutachten bestätigt -, hat sie eine natürliche Ursache und scheidet somit als Kriterium, das gegen die Identität sprechen könnte, aus. Für die leicht abweichende Gesichtsumrißform - es handelt sich bei genauerer Betrachtung um vermehrtes Fettgewebe im Gesicht Vernons (speziell im Wangenbereich), das sich nach ihrer Heirat und Entbindung gebildet haben muß - existiert gleichfalls eine plausible Erklärung. Denn Vernon führte nach den ungewöhnlichen und großen Strapazen und widrigen Umständen ihrer Schwangerschaft im Jahre 1598 (vgl. dazu S. 62-63) als Gräfin von Southampton ein Leben in Reichtum und Luxus, so daß die leichte Fettansammlung in ihrem Gesicht sich aus ihren grundlegend veränderten Lebensumständen erklärt. Alles dies - und auch die Tatsache, daß die Gräfin ein besonderes Erkennungsmerkmal, nämlich eine markante Kinnspitzenpartie, besitzt, verschweigt Borgmeier. Statt dessen urteilt er rasch - und unbegründet: "Um die Identität der als 'Persian Lady' dargestellten Dame zu beweisen, zieht die Verfasserin ein authentisches Porträt der Gräfin von Southampton heran und bemüht sich - nicht ganz überzeugend - die von dem Kriminologen festgestellten Abweichungen ... zu erklären" (S. 10). Mit diesem flüchtigen Einwand, dem jegliche Begründung fehlt, kann der Rezensent das positive Ergebnis des Gesichtsvergleichs keineswegs in Frage stellen.

Die Art und Weise, wie Borgmeier mit dem - durch nichts wegzudiskutierenden - Tatbestand umgeht, daß sich auf dem untersuchten authentischen Porträt der Gräfin von Southampton - wie der Sachverständige des BKA schriftlich bestätigte - ein Gesicht befindet, das die Züge William Shakespeares trägt, zeigt, daß ihm nicht klar zu sein scheint, daß es sich hier um einen absichtlichen und sehr konkreten Bildhinweis des Malers für die Nachwelt handelt, der - wie das Gemälde selber - eine genuine historische Quelle ist. Da das Bild des Dichters am Ärmel Elizabeth Vernons faktisch vorhanden ist, stellt das um 1600 entstandene Porträt, auf dem die Gräfin von Southampton noch nicht frisiert und vollständig angekleidet ist, in der Tat ein starkes Indiz für eine intime Beziehung zwischen ihr und Shakespeare dar. An dieser Tatsache vermögen die Überlegungen des Rezensenten, ob ein solcher Sachverhalt überhaupt vorstellbar sei, nichts zu ändern. Borgmeiers Kommentar, "Glücklicherweise vermochte vier Jahrhunderte lang niemand die Geheimbotschaft zu entschlüsseln", läßt vermuten, daß er es wohl vorgezogen hätte, wenn diese Botschaft des Malers nicht entdeckt worden wäre.

Vernons 1598 geborene Tochter, Lady Penelope Spencer, geb. Wriothesley, ist - wie ein van Dyck-Porträt von ihr offenbart, Shakespeare gleichsam wie aus dem Gesicht geschnitten. Der BKA-Experte, der einen Gesichtsvergleich zwischen Penelope und dem Grafen von Southampton einerseits und Penelope und Shakespeare andererseits vorgenommen hatte, gelangte zu dem Schluß: "Das Ergebnis der Auswertung fällt eindeutig zugunsten von 'S[hakespeare]' aus." Auch dieses wichtige Ergebnis verschweigt der Rezensent.

Angesichts der Tatsache, daß die Verfasserin die historisch-biographischen und kulturgeschichtlichen Zusammenhänge besonders sorgfältig und gründlich erforscht hat und sich alle ihre Ergebnisse hier stimmig einfügen ließen, erstaunt es, daß der Rezensent meint, "der zeitgenössische Kontext [werde] zu wenig berücksichtigt". Daß Shakespeare mit dem Gedanken gespielt haben könnte, "mit der Geliebten zusammenzuleben und mit ihr Kinder zu zeugen" - so wie es die Cousine Elizabeth Vernons, Lady Rich, mit ihrem Liebhaber Lord Mountjoy in aller Öffentlichkeit vorlebte -, weist Borgmeier mit dem Hinweis zurück, daß zwischen "einem Mitglied des Hochadels und einem besitzbürgerlichen Theaterunternehmer wie Shakespeare ... damals Welten [klafften]". Dabei übersieht er, daß Elizabeth Vernon, obwohl sie eine Cousine des Grafen Essex war, nicht dem Hochadel entstammte, sondern ihm erst später durch Eheschließung angehörte. Sie war die Tochter des kleinen Landedelmannes Sir John Vernon, der 1591 starb und seinen Kindern kaum das Nötigste zum Leben hinterließ. Elizabeth Vernon wurde das Mündel ihres Vetters Essex, der ihr die Stellung bei Hofe verschaffte und sie jährlich mit 50 Pfund unterstützte. Daß die Welten zwischen niederem Adel und Bürgertum keineswegs sehr groß waren, zeigt u.a. das Beispiel der Eltern Shakespeares. Seine Mutter, die relativ reiche Erbin Mary Arden, entstammte dem niederen Adel und heiratete den Handwerker John Shakespeare. Vermutlich war sie es, die - zusammen mit ihrem Sohn William - dafür gesorgt hat, daß ihrem Mann, dem ehemaligen Bürgermeister von Stratford, ein Wappen zuerkannt wurde und daß er den erblichen Titel 'Gentleman' erhielt. Die sozialen Schranken zwischen Shakespeare und Vernon dürften somit kein wirkliches Hindernis für ein Zusammenleben gewesen sein - ebensowenig wie die Tatsache, daß Shakespeare im fernen Stratford Frau und Kinder hatte. In elisabethanischer Zeit herrschte de facto eine erstaunlich große sexuelle Freizügigkeit. Wichtig war, daß Nachkommen gezeugt wurden - ganz gleich, ob legitim oder illegitim. In den zeitgenössischen Testamenten, die Honigmann zu Hunderten untersucht hat, wimmelt es von 'bastard sons' und 'bastard daughters', die stolz erwähnt und testamentarisch bedacht werden. Wie seine Zeitgenossen war auch Shakespeare von der Idee besessen, in seinen Kindern weiterzuleben. Die Fortpflanzung galt in elisabethanischer Zeit als eine von drei Möglichkeiten, das Verlangen nach Unsterblichkeit zu stillen. Als sein einziger Sohn, Hamnet, der 1585 als Zwillingsbruder von Judith geboren wurde, am 11. August 1596 in Stratford beigesetzt wurde, bedeutete dies für den Dichter das Ende großer Hoffnungen. Von seiner um 8 Jahre älteren Frau konnte er wohl keine Kinder mehr erhoffen. Im Kontext des oben Gesagten muß auch Hauptaussage des neuen Sonetts gesehen werden: die Erkenntnis und Klage des dichterischen Ichs, daß ihm die Früchte seiner Liebe genommen werden und anderen zufallen.

Konsequenzen und Schlußfolgerungen
An keiner Stelle des Buches wird - wie der Rezensent unterstellt - von der Verfasserin behauptet, Elizabeth Vernon habe ihr Kind Penelope "lieblos vernachlässigt". Gestützt auf authentische historische Quellen, wird dargelegt, daß die Kindesmutter ihr Kind im Babyalter den Augen Southamptons entzogen hat, aber in Briefen stets ihre gleichgroße Liebe zu ihrem Mann und ihrem Kind betonte. Dargelegt wird auch, daß Lady Rich, Vernons Cousine, in dieser Zeit besser über das Aussehen und die Entwicklung der kleinen Penelope unterrichtet war als die Kindesmutter und daß sie Southampton gegenüber, dessen strahlend helle Augen bekannt waren, in auffälliger Weise die hellen grauen Augen Penelopes betonte. Dieses merkwürdige Verhalten wurde von der Verfasserin im Zusammenhang mit den zahlreichen anderen Zweifeln an der Vaterschaft Southamptons abgehandelt (vgl. S. 84ff.).

Der von der Verfasserin erstellte Bezug zwischen den Ereignissen des Jahres 1598 und Shakespeares The Winter's Tale ist - auch bei erneuter Überprüfung - ausgesprochen plausibel. Shakespeare bringt Themen wie (unterstellte) Dreiecksbeziehung, Vaterschaftszweifel, Gefängnisaufenthalt der schwangeren Königin und Geburt der Tochter im Gefängnis in einer bis dahin nicht dagewesenen Weise auf die Bühne. Angesichts des Tatbestands, daß Vernons Tochter Penelope nicht - wie wir nun wissen - Southampton ähnelte, sondern die Gesichtszüge Shakespeares trug, liegt die Vermutung allerdings sehr nahe, daß auch die Szene, in der der König, krank vor Eifersucht und Mißtrauen gegenüber seinem Jugendfreund, die Gesichtszüge seines kleinen Sohnes prüft, als versteckter Hinweis des Dramatikers an die Adresse Southamptons gerichtet war. Natürlich ist es legitim, hier autobiographische Zusammenhänge zu vermuten. Man wundert sich allerdings, daß der Rezensent, der eingangs die vorhandenen "konkreten Verbindungen zwischen Leben und Werk" Shakespeares so stark betonte, obwohl er dafür keine konkreten Belege vorlegen konnte, dies ausgerechnet bei einem Beispiel kritisiert, dessen (auto)biographischer Bezug ins Auge springt.

Die "zum Teil gravierenden Schwächen", die der Rezensent abschließend - fälschlicherweise - der Verfasserin unterstellt, lassen sich - wie ihre Replik gezeigt hat - nicht für ihr Buch, wohl aber für die von Borgmeier vorgelegte Besprechung nachweisen. Sie erklären sich jedoch nicht daraus, daß manche Aussagen Borgmeiers für sich genommen unzutreffend sind, sondern daraus, daß seine Einwände angesichts der gegebenen historischen, kulturgeschichtlichen, biographischen, medizinischen, botanischen und kriminologischen Fakten und Zusammenhänge keinen Bestand haben.


Erläuterungen zu den Bildzitaten (Abb. 1-5) aus H. Hammerschmidt-Hummel, Das Geheimnis um Shakespeares ‘Dark Lady’: Dokumentation einer Enthüllung.

Abb.1 Ausschnitt des emblematisch angelegten elisabethanischen Gemäldes ‘The Persian Lady’ von Marcus Gheeraerts d.J. (1553-1635), bei dem es sich um das zentrale Bilddokument der oben genannten Monographie handelt. Die hier bildlich dargestellte, bisher nicht identifizierte, hoch schwangere und festlich gekleidete Elisabethanerin mit schwarzem Haar und dunklen Augen steht - wie der Gynäkologe Prof. Peter Berle in seinem Fachgutachten vom 25. Februar 1997 feststellt - 8 bis 12 Wochen vor dem Geburtstermin. Sie ist Elizabeth Vernon, Hofdame Königin Elisabeths I. und durch Heirat Gräfin von Southampton. Diese Personenidentität ergab sich durch Vergleich mit einem authentischen Bildnis der Gräfin von Southampton, bei der der BKA-Sachverständige Reinhardt Altmann sowie der Chirurg und Internist Prof. Wolfgang Hach mitgewirkt haben. Auch Vernon war hoch schwanger und stand ca. 10 Wochen vor der Geburt ihrer Tochter Penelope am 8. November 1598, als sie Ende August 1598 den dritten Grafen von Southampton heiratete, Shakespeares Patron, Freund (und Nebenbuhler).

Abb. 2 Ausschnitt aus ‘The Persian Lady’. In der Barockkartusche ist ein Sonett wiedergegeben, das sich auf das bildlich Dargestellte bezieht. Das dichterische Ich dieses Sonetts, auf dem Gemälde als weinender Hirsch abgebildet, klagt, die Frucht seiner Liebe gehöre ‘anderen’. Ein linguistischer Vergleich mit den Sonetten, Versepen und Dramen Shakespeares, den der anglistische Sprachwissenschaftler Prof. Klaus Faiß geprüft und für richtig befunden hat, ergab, das der Text des neuen Sonetts von der Hand Shakespeares stammen muß. Dies ist auch das Ergebnis des durchgeführten literaturwissenschaftlichen Vergleichs.

Abb. 3-5 Henry Wriothesley, dritter Graf von Southampton - Penelope Spencer, geb. Wriothesley - und William Shakespeare im Jahr der Publikation seiner Sonette (1609). Das ‘neue Sonett’ auf Gheeraerts’ Gemälde beschließt die bislang offene ‘Dark Lady’-Sequenz der Shakespeareschen Sonette. Ein von dem BKA-Sachverständigen Altmann vorgenommener kriminaltechnischer Bildvergleich hat gezeigt, daß es zwischen den Gesichtszügen Penelopes (auf dem Gemälde von Anthonis van Dyck) und Shakespeares (auf dem Chandos- und dem Flower-Porträt) zahlreiche verblüffende Übereinstimmungen gibt, während Penelopes Züge von denen des Grafen von Southampton, ihres angeblichen Vaters, stark abweichen. “Das Ergebnis der Auswertung”, so Altmann, “fällt eindeutig zugunsten von ‘S[hakespeare]’ aus” (27. August 1997).

[Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers der Anglistik: Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Ahrens, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Am Hubland, D-97074 Würzburg, Tel.: 0931-888-5408, Fax: 0931-888-5413, E-mail: ruediger.ahrens@mail.uni-wuerzburg.de]

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